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Suizidneigungen?
Jenseitstheorien...
 

                                   Sehnsucht nach dem Nichts
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              Eine pessimistische Philosophie gegen den naiven Suizid


Schopenhauer als philosophischer Pessimist *) sagt, diese Welt wäre besser nicht bzw. hätte von vornherein nie sein dürfen.

Unser metaphysisches Urwesen (Gott, Natur, blinder Wille, M@L, wie man es auch nennen will) ist bar jeder Vernunft und Moral.

Inakzeptabel, wie wir Lebewesen fortwährend kämpfen, töten, siechen und sterben müssen – wir sind den Mächten der Natur ausgeliefert, unser Leid ist ohne Maß und Ziel.

Der philosophische Pessimist orientiert sich am Ideal des absoluten Nichts i.S.v. absoluter Bewusstlosigkeit – es sollte jedem zustehen, das Nichtsein zu wählen!

Als ontologischer Materialist **) würde er damit zum Suizid neigen, in der Annahme, dass der Tod endgültige Bewusstlosigkeit bringt.

Der naive Suizid wäre ein Suizid im bedenkenlosen Vertrauen darauf, dass der biologische Tod uns ein für alle Mal vernichtet bzw. erlöst.

Der vorsichtige philosophische Pessimist jedoch hält das Nichts für schlimmstenfalls unerreichbar, dennoch bleibt es seine primäre Orientierung.

Als ontologischer Idealist ***) versucht er, sich dem evt. unmöglichen Nichts anzunähern im "reinen Sein", d.h. in der Ruhe bis Leere von Gedanken und Gefühlen.

Für das diesseitige Leben bedeutet das einen Quietismus im meditativen bzw. asketischen Sinn, d.h. Verzicht auf den gesellschaftsüblichen Aktionismus.

Solch ein Rückzug ist auch die richtigere Lebensweise angesichts der industriellen Umweltzerstörung, welche gerade auf ihren Point of no Return zusteuert.

Aber wenn dem Pessimisten die Aussicht aufs endgültige Nichts im Tod viel zu schön vorkommt, um wahr zu sein – womit rechnet er dann? Hölle? Wiedergeburt?

Das mir aktuell plausibelste Jenseitsmodell leitet sich ab vom analytischen Idealismus nach Kastrup. Klassischer Ausgangspunkt: alles ist Bewusstsein bzw. das ganze Universum ist IM Bewusstsein.

Die beim Menschen inzwischen mit neurologischen Methoden nachweisbare dissoziative Identitätsstörung gibt Hinweise, wie ein Subjekt viele andere dissoziieren kann.

Dies inspiriert Kastrup zu folgender Einteilung des universellen Bewusstseins: a) die unbelebte Natur als EIN ewiges Wesen und b) die belebte Natur als zahllose endliche Wesen.

a) Die unbelebte Natur ist der EINE M@L (Mind at Large, Begriff von Huxley): ewig gegenwärtig, unbegrenzt, allwissend, aber instinktiv bzw. unreflektiert.

Er ist nur phänomenal bewusst, d.h. es fühlt sich irgendwie an, der M@L zu sein – eine innere Wirklichkeit unreflektierter Gedanken und Gefühle.

b) Die belebte Natur sind wir zahllosen vom M@L vorübergehend dissoziierten Lebewesen i.S.v. Subjekten mit je privatem Bewusstsein.

Wir sind endlich, begrenzt und eher unwissend, aber zumindest als höchstentwickelte Lebewesen können wir nachdenken bzw. reflektieren.

Wir sind metabewusst (d.h. uns unseres Bewusstseins bewusst), und zu unseren inneren Wirklichkeiten kommen unsere äußeren Wahrnehmungen.

An unserer dissoziativen Grenze entsteht eine sog. Physik der Erste-Person-Perspektive mit subjektivem Raumzeit-Gerüst – es gibt kein objektives Blockuniversum.

Raum und Zeit gibt es nur für uns, der M@L ist eine Art allumfassender Speicher mit logisch-assoziativer Struktur ohne raumzeitliche Ausdehnung.

Solange unsere dissoziative Grenze intakt ist, lässt sie nur evolutionär überlebenswichtige Information durch, vergleichbar den Anzeigen der Instrumente im Cockpit bei einem Blindflug.

Unser angeborenes Raumzeit-Gerüst wird bloß mit elementaren Empfindungen bestückt, und diese wiederum werden mithilfe erlernter Narrative interpretiert.

Wird die dissoziative Grenze aber porös, geht das Lebewesen wieder auf im M@L bzw. wird reassoziiert vom M@L oder zumindest kurz geflutet mit Inhalten des M@L.

Während dieser veränderten Bewusstseinszustände beendet bzw. reduziert das Gehirn seine Aktivität als Filter und M@L-Inhalte können ungefiltert bzw. weniger gefiltert eindringen.

Letztere Eindrücke sind im Vergleich zur normalen Wahrnehmung dermaßen hyperreal, dass man sie nie wieder vergisst – aber nicht selten lange (auch lebenslang) verdrängt.

Unter dem materialistischen Paradigma erscheint es paradox, dass bei minimaler Hirnaktivität maximale Eindrücke bzw. die bleibendsten Erinnerungen entstehen.

Erst das Gehirn als Filter erklärt den Inhaltsreichtum veränderter Bewusstseinszustände im Sterben bzw. während einer Nahtoderfahrung oder auch in der Meditation, auf dem psychedelischen Trip u.v.a.

Strenggenommen ist nur der M@L wirklich, im Grunde sind wir alle ein- und derselbe M@L. Wie ein Träumender erschafft er uns als seine partikularen Illusionen.

Ist der M@L vielleicht noch verzweifelter als wir? Haben wir hier im Diesseits als Lebewesen vergleichsweise unsere Ruhe und im Jenseits droht wieder Sturm?

Im Angesicht ewiger Gegenwart kann der idealistische Pessimist nur unplausiblerweise hoffen, dass der M@L selber dereinst mit dem Dissoziieren aufhört und zur Leere findet.

Wir sollten versuchen, es dem M@L vorzuleben – was die östliche Weisheit Nirvana nennt, ist vielleicht des reflexionsfähigen Menschen beste Idee: das reine Sein des ewigen Bewusstseins.

À la Schopenhauer: möge der blinde Wille sich läutern und sein Individuationsprinzip aufgeben bzw. sich mit dem reinen Sein bescheiden, wenn nicht gar, sich selbst aufhebend, mit dem Nichts.


*) Unterscheide: der landläufige Pessimismus prophezeit ein schlimmes Ende; der philosophische Pessimismus hingegen besagt, dass diese Welt besser nicht wäre.

**) Unterscheide: der landläufige Materialismus meint das Streben nach materiellem Besitz; der ontologische Materialismus hingegen besagt, alles bestehe aus Materie.

***) Unterscheide: der landläufige Idealismus meint das Streben nach hehren Zielen; der ontologische Idealismus hingegen besagt, alles sei mentaler Natur.


online gestellt am 17.07.2024, zuletzt editiert am 27.07.2024

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